ASTM News

20
Jan

Die Philippinen unter Duterte: Auf dem Weg in den Faschismus?

Die Situation für zivilgesellschaftliche und kirchliche NGOs, Menschen- und Umweltverteidiger sowie für Kleinbauern und Verbraucher in den Philippinen bleibt weiterhin besorgniserregend.

Erst am Ende des Jahres berichteten wir über die Zulassung des umstrittenen genmanipulierten Golden Rice durch das philippinische Landwirtschaftsministerium in einer Nacht- und Nebelaktion – eine Entscheidung, die von unserer Partner-Organisation MASIPAG scharf kritisiert wurde.

Über den Ernst der Lage berichtete auch Dr. Rainer Werning, Politologe und Publizist mit dem Schwerpunkt Südost- und Ostasien, im ersten Teil seines Interviews mit der ASTM. Die von Dr. Werning damals zum Ausdruck gebrachten Befürchtungen haben sich leider vollauf bestätigt. Die Meldungen aus den Philippinen bleiben weiterhin erschreckend. Die Attacken gegen zivilgesellschaftliche und kirchliche NGOs, Menschen- und Umweltverteidiger sowie gegen Anwälte, die sie verteidigen, nehmen dramatisch zu. Alle, die sich für die Belange von Arbeitern, Bauern, Gewerkschaften, indigenen Gemeinschaften einsetzen, werden zum Staatsfeind erklärt und müssen um ihr Leben bangen. Seit der Machtübernahme von Präsident Rodrigo Duterte im Sommer 2016 wurden etwa 200 Menschenrechtsverteidiger umgebracht und schätzungsweise 27.000 Menschen im sogenannten Antidrogenkrieg getötet. Unsere Partnerorganisation leben das hautnah mit, sind Opfer von Morden und/oder sehen ihr Leben gefährdet.

ASTM: Wie hast Du dich gefühlt, als die ersten Teilresultate der Wahlen bekannt wurden?

Es war – ehrlich gesagt – keinerlei Überraschung. Ich hatte diese Entwicklung auch in der neuen Auflage des Handbuch Philippinen antizipiert, das unter dem Gesichtspunkt des Dutertismo in weiten Strecken neugeschrieben werden musste.

Das Tragische ist, dass sich der Kreis jetzt wieder schließt. Wir haben in den 1970er und 1980er Jahren gegen den Diktator Marcos gekämpft, aber jetzt ist Duterte quasi durch die Hintertür als marcoshafte Figur auf die politische Bühne gestiegen. Die Wahlen haben dies bestätigt.

ASTM: Wie würdest Du die aktuelle Situation in den Philippinen beschreiben?

Was wir momentan erleben ist einerseits eine Militarisierung der Politik, indem wichtige strategische Funktionen von Ex-Militärs (AFP) sowie von Ex-Polizeioffizieren (PNP) besetzt sind. So werden u.a. das Innenministerium, das Umweltministerium, das Verteidigungsministerium sowie das Wohlfahrtsministerium allesamt von Ex-Militärs geführt. Der einstige Generalstabschef der Streitkräfte (AFP), General a.D. Carlito Galvez, ist seit Januar 2019 sogar Sonderbeauftragter des Präsidenten für den Friedensprozess!

Gleichzeitig geschah eine „Ramboisierung“ des Rechtssystems, die am 11. Mai 2018 in einer deutlichen Verhöhnung der Verfassung gipfelte, als die damalige Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes, Maria Lourdes Sereno, mit fadenscheinigen Argumenten und Kabalen von ihren eigenen Leute abgesetzt wurde. Dazu kommt die Elastizität eines Gerichtswesens, was einzig im Sinne der Herrschenden und Mächtigen auf den Inseln verfährt. So kam im November 2018 Imelda, die Witwe des Diktators Marcos, die Tage zuvor vom Antikorruptionsgericht Sandiganbayan(Anwalt des Volkes) wegen Geldwäsche und Korruption zu mehreren Jahren Haftstrafe verurteilt worden war,gegen Zahlung einer Kaution von lediglich umgerechnet € 2.500 auf freien Fuß. Sie wird keinen einzigen Tag hinter Gittern verbringen. (Anm.: Frau Marcos hatte während ihrer Amtszeit als Gouverneurin von Metro Manila (1978 – 1984) zig Millionen Euro an Staatsgeldern illegal auf Konten in der Schweiz transferiert und für eigene Zwecke und die ihrer Klientel verwendet.)

Vorher schon hatte sich Duterte buchstäblich die Gunst der staatlichen „Sicherheits“kräfte (PNP und AFP) erkauft. Beide wurden aufgewertet und erhielten zwischenzeitlich eine Aufstockung ihres Solds um das Doppelte. Dutertes anfängliches pseudo-antiimperialistisches Getuesowie seine erklärte Absicht, von den USA abzurücken, gehören längst der Vergangenheit an und sind Schall und Rauch. Mittlerweile bewegt er sich wieder voll auf der Linie der USA und geriert sich als deren treuer Diener.

ASTM: Wie sieht es mit der politischen Opposition aus?

Eine wirksame politische Opposition im Kongress besteht nicht mehr. Man kann von einer regelrechten Pazifizierung und Kooptierung des Repräsentantenhauses sprechen, nachdem die ehemalige Opposition 2016 gleich nach dem Sieg Dutertes ins selbstverschuldete politische Unheil stürzte und mit fliegenden Fahnen ins Lager des neuen Präsidenten hinüberwechselte, um im Kongress fortan eine „Supermajority“ zu bilden.

Dem Präsidenten fehlte nur noch eine Zweidrittelmehrheit im Senat, um dann quasi einen Durchmarsch machen zu können. Bei den gerade durchgeführten Halbzeitwahlen gelang es keinem Oppositionspolitiker, einen Sitz im Senat zu gewinnen, so dass der Präsident nun auch diese bislang vergleichsweise unabhängige Institution kontrolliert. Darin sind nunmehr Leute vertreten, deren einzig „herausragendes“ Merkmal darin besteht, sich der Nähe zum Präsidenten brüsten zu können. Mit dem Einzug des früheren Schauspielers Ramon Revilla ist selbst der Wahlk(r)ampf zu einer Idiotisierungsplattform verkümmert. Revilla bot lediglich Gesangs- und Tanzdarbietungen, ernsthaften Gesprächen und Diskussionen ging er tunlichst aus dem Wege.

ASTM: Wie würdest Du diese Halbzeitwahlen bezeichnen? Waren es freie und faire Wahlen?

Zunächst einmal, im gesamten Süden des Landes waren es keine freien Wahlen, da dort Kriegsrecht herrscht. In dieser Situation wurden Tür und Tor für Manipulation und Wahlfälschung geöffnet. Zudem wurde das sogenannte „Partylist“-System pervertiert, das ein Viertel der Sitze im Repräsentantenhaus für unabhängige Kandidaten aus den marginalisierten Sektoren der Gesellschaft vorsieht. Die staatliche Wahlkommission (Comelec) hat nicht nur zweifelhaften Gestalten aus bürgerlichen und gutsituierten Schichten den Zugang zu Posten und Pfünden geöffnet, sondern auch VertreterInnen der „Duterte-Youth“ als Parteiliste gebilligt, die nicht einmal grundlegenden Kriterien (Altersbeschränkung) genügten. Ich gehe davon aus, dass es massive Täuschungen gab, unter anderem im Zusammenhang mit Pannen und Verzögerungen bei der elektronischen Stimmenübertragung bzw. -auszählung, da es allein in einem Fall sogar zu einem siebenstündigen Stromausfall kam!

Ferner verweigerte Comelec der unabhängigen Wahlbeobachterkommission (Namfrel) den Zugang zu mehreren für eine seriöse Beobachtung des Wahlprozesses wichtigen Daten, was dazu führte, dass sich Namfrel komplett zurückzog. Der größte Witz war, dass die Comelec die Regierungspartei von Duterte (PDP-Laban) zur Mehrheitspartei und die Nacionalista-Partei zur Minoritätspartei erklärte. Letztere ist aber mit der Duterte-Partei politisch liiert. Auch hier fand also eine Travestie statt.

Die Lage im Land ist politisch extrem polarisiert und antagonisiert. Ich habe sogar die Befürchtung, dass es potenziell zu einer bürgerkriegsähnlichen Situation kommen kann. Denn das andere Lager, vor allem die Linken und radikale Linke, wird die zunehmende Repression der Zivilgesellschaft und der Medien sowie den blutigen Kampf gegen Menschenrechtsverteidiger, Anwälte, Kirchenvertreter, um nur einige zu nennen, nicht tatenlos hinnehmen. Es wird auf jeden Fall zu einem Wachstum der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP) und ihrer Guerillaorganisation, der Neuen Volksarmee (NPA), führen, die immer wieder tot gesagt wurden und selbst durch zig Maßnahmen der Aufstandsbekämpfung nicht in die Kniee gezwungen werden konnten.

Paradoxerweise ist die Politik von Duterte nachgerade dazu geeignet, entgegengesetzt zu wirken und eher für eine Stärkung der radikalen Linken zu sorgen, weil sämtliche wichtigen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme im Lande ungelöst bleiben – allen voran eine den Namen verdienende umfassende Land- und Agrarreform. Dies hatte Duterte 2016 sogar während seines Präsidentschaftswahlkampfs großmäulig als zuvörderst zu lösende Aufgabe hervorgehoben. Heute leidet er da unter Totalamnesie.

All dies zusammengenommen deutet darauf hin, dass sich der aktuelle faschistoide Kurs von Duterte zum Faschismus auszuwachsen vermag. Aus meiner Sicht liegt die radikale Linke allerdings falsch, wenn sie bereits im jetzigen Stadium von Faschismus spricht. Das ist eine Beschönigung dessen, was Faschismus wirklich ist und meint. Zum Faschismus gehört u.a. eine dem „Führer“ bedingungslos ergebene Massenbewegung, was selbst unter Marcos kläglich scheiterte.

Duterte ist narzistisch, andere Kritiker halten ihn für beides – einen Sozio- wie auch Psychopathen. Ihm geht es um offensichtlich aphrodisisch wirkende Macht und nochmals Macht. Drei seiner Kinder haben mittlerweile ebenfalls politische Ämter: seine älteste Tochter Sara ist Bürgermeisterin von Davao City, einer seiner Söhne ist gleichzeitig Vize-Bürgermeister, während ein weiterer Sohn als Abgeordneter für die City im Repräsentantenhaus sitzt. Für sie geht es vor allem um Geld und Reichtum, für den Vater indes um Macht und diese gegenüber anderen schonungslos auszuspielen – womöglich mit der fatalen Konsequenz: „Nach mir die Sintflut“.

ASTM: Ich habe gelesen, dass die Filipinos, die gegen Terror und Ungerechtigkeit in ihrem Land kämpfen, eine besondere Lebenseinstellung haben; sie sagen, es gibt keinen anderen Weg als Widerstand.

Das ist zutreffend angesichts der überaus langen Tradition von Kolonialismus und Imperialismus auf dem Archipel. Allein im Süden des Landes mit der größten Insel Mindanao hat – auch und gerade bewaffneter – Widerstand eine ebenso lange Tradition. Es ist dies immerhin die mit Abstand älteste Konfliktregion in ganz Südostasien. Der Widerstand der Moros, der muslimischen Bevölkerung, die bei der Ankunft der Spanier auf Mindanao lebte, geht zurück auf die spanische Kolonialzeit (1565 – 1898). Während die Spanier den Rest des Archipels unter ihre Kontrolle bringen konnten, gelang es ihnen nie, die muslimische Bevölkerung  Mindanaos zu unterwerfen und zu kolonialisieren. Erst den Amerikanern, die die Spanier als neue Kolonialherren Anfang des 20. Jahrhunderts ablösten, gelang es nur wegen ihrer haushohen waffentechnologischen Überlegenheit, den Moro-Widerstand durch zig Massaker buchstäblich physisch zu liquidieren. In den Philippinen wurde auch 1898, nach der Unabhängigkeit von Spanien im antikolonialen Kampf, die erste Republik in Asien ausgerufen.

Das bringt mich auf die Geschichte meines Lieblingsfilipinos, Isabelo de los Reyes. Dieser hat 1892 die erste Gewerkschaft in seiner Heimat gegründet und 1902 den ersten Gewerkschaftsdachverband. Ferner war er Gründer und Ziehvater der Iglesia Filipina Independiente (das entspricht im europäischen Kontext der Alt-Katholischen Kirche). Sie ist die einzige Kirche weltweit, die ein klassisches Produkt des antiimperialen und antikolonialen Kampfes ist. Isabelo de los Reyes gehörte zu den Aufklärern, er war es, der die Literatur der französischen Revolution, der Aufklärung und vor allen Dingen der marxistischen Literatur in die Philippinen schmuggelte. Wegen seiner – wiewohl aus Sicht der Herrschenden – boshaften Umtriebe war er eine Zeit lang in Barcelona sogar eingekerkert.

Er war wie Ferdinand Marcos ein Ilocano. Wenn Leute, denen ich begegne, behaupten, Marcos sei der größte Ilocano gewesen, erwidere ich: „Ohweia, ihr kennt leider eure eigene Geschichte nicht. Denn lange bevor Marcos eine historische ‚dustbin-Figur’ wurde, gab es einen richtig grandiosen und die Zeiten überdauernden großen Ilocano: Isabelo de los Reyes.“ Über ihn ist übrigens im Kapitel „Gründerväter“ des Handbuch Philippinen mehr nachzulesen.

Das Gespräch führten Katrin Mockel und Julie Smit von der ASTM, im Mai 2019, gleich nach den Halbzeitwahlen zum Senat und Repräsentantenhaus. 

 

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